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Via Crucis


Über den nicht zu unterschätzenden Wert einer eigenen Waschmaschine


Um 6 Uhr morgens, mitten in der Nacht, klingelt dein Wecker. Du verfluchst ihn, unterlässt es aber, ihn an die Wand zu werfen. Es ist gestern mal wieder später geworden als vorgesehen. War ja auch Freitag Abend. Der Gedanke führt nun allerdings auf die Frage, warum du heute überhaupt um 6 Uhr aufstehen wolltest. Richtig, du wolltest ja Wäsche waschen. Du wohnst in einem Studentenwohnheim mit 900 Studenten und 8 Waschmaschinen. Da geht das nicht anders.

Du stehst also auf. Toilette, Zähne putzen, schnell was überziehen -- im Schrank liegt nur noch dein weinroter Trainingsanzug (der so wunderbar zu deinen hellbraunen Wildlederschuhen passt). Es ist schon irgendwie ganz sinnvoll, heute zu waschen. Also auf: Waschpulver her und das Portemonnaie mit der Chipkarte -- genügend Geld ist auch noch drauf -- und schon kann's losgehen. Irgend etwas anderes wolltest du heute noch, aber das wird dir schon wieder einfallen. Es ist noch viel zu früh zum Nachdenken, und nachher wirst du noch genügend Zeit haben.

In den viereinhalb Jahren, die du jetzt hier wohnst, hast du dich immer wieder gefragt, wann du es endlich schaffen würdest, dich außerhalb deines Zimmers zu befinden, während dein Schlüssel noch im Innern verweilt. Vor der abgeschlossenen Tür des Waschraumes dämmert dir, dass du auf diese Frage soeben eine Antwort gefunden hast.

Also gut. Keine Panik. Der Hausmeister hat für solche Fälle ein Handy. Die Nummer hängt im Erdgeschoss aus. Du hast sogar noch eine Telefonkarte im Portemonnaie, und direkt vorm Wohnheim steht auch noch eine Telefonzelle, in die du dich jetzt mitsamt deiner Wäscheschüssel hineinbegibst. Das Telefon funktioniert sogar, was aber auch nichts nützt, da der Hausmeister das Notfallhandy offenbar ausgeschaltet hat. Es ist jetzt 6 Uhr 30.

Gut. Dann setzt du dich eben vor den Waschraum. Bis spätestens 7 Uhr kommt da sowieso immer noch jemand anderes zum Waschen. Aber heute natürlich nicht. Um 7 Uhr 45 stehst du wieder mit deinem Wäschekorb in der Telefonzelle. Der Hausmeister hat sein Handy in der Zwischenzeit wieder eingeschaltet. Fünf Minuten später schließt er dir mit seinem Generalschlüssel dein Zimmer auf. Der Spaß kostet dich 16 Euro.

Du ziehst es vor, nicht darüber nachzudenken, holst deinen Schlüssel und begibst dich auf direktem Weg zum Waschraum. Als du die Tür aufschließt, ahnst du es irgendwie schon: Das wäre jetzt viel zu einfach. Prompt begrüßt dich der Kartenleseautomat mit der Meldung "Fehler 464 -- Betreuer rufen". Es kommt dir vor, als wärst du in einer Zeit, in der du deine Wäsche von Hand im Fluss waschen müsstest.

Also gut. Ruhe bewahren. Umdisponieren. Du kannst ja zur Not am Montag waschen. Nein, kannst du nicht. Du musst morgen verreisen. Geschäftlich, versteht sich, so mit Jackett und Krawatte und so. Jetzt weißt du auch, was du heute noch erledigen musst: In deiner Krawattensammlung von ganzen zwei Exemplaren befinden sich nur solche mit Micky-Maus-Motiven -- eher ungeeignet für deine erste Dienstreise. Aber es ist ja erst 8 Uhr; du hast noch genügend Zeit. Dir fällt ein, dass du einen Waschsalon kennst. Gut. Dann aber erstmal duschen und frühstücken. Dein (natürlich elektrischer) Rasierapparat verreckt auf halber Strecke. (Hm, vielleicht wirst du ja mit dem Schnitt zum Trendsetter...) Dafür gibt dein Toaster heute Vollgas -- du frühstückst zwei Kohleplättchen.

Um 8 Uhr 45 würdest du gerne losfahren. Dein Auto aber nicht. Kein Wunder, wenn die Batterie tot ist. Im weinroten Trainingsanzug und hellbraunen Wildlederschuhen, halbseitig rasiert und mit einem überquillenden Wäschekorb nimmst du den Bus um 8 Uhr 57. Um 9 Uhr 49 stehst du vorm Waschsalon. Er wird umgebaut. Noch 3 Wochen lang. Du wünschst dir, du wärst in einer Zeit, in der du die Wäsche von Hand im Fluss waschen könntest. Aber du hast inzwischen erkannt, dass dieses einer jener Tage ist, und in weiser Voraussicht die gelben Seiten mitgenommen. Daraus erfährst du jetzt, dass du vor dem einzigen Waschsalon der Stadt stehst.

Also gut. Tief durchatmen. Dir fällt ein, dass du noch jemanden kennst, der seine eigene Waschmaschine hat. Er wohnt auch gar nicht mal so weit weg. Um 10 Uhr 43 klingelst du. Dein Freund ist sogar zuhause. Er hat ja auch noch geschlafen -- war ja immerhin Freitag Abend gestern. Aber er sieht deine Not ein. Um 11 Uhr schmeißt du endlich die erste Maschine an -- dunkle Wäsche (natürlich mitsamt deinem weißen Lieblings-T-Shirt, aber davon weißt du noch nichts...). Um 11 Uhr 25 ist die Waschmaschine ganz vollgelaufen. Um 11 Uhr 37 sitzt ihr gemütlich bei Kaffee und von dir geholten Brötchen in der Küche neben der Waschmaschine und bekommt plötzlich nasse Füße. Ein Schlauch ist geplatzt. Du beschließt, dass jetzt die Zeit gekommen ist, in der du deine Wäsche von Hand im Fluss waschen wirst.

Also gut. Eins nach dem Anderen. Erstmal steht jetzt die Küche deines Freundes unter Wasser, und der Laminatboden macht schon Anstalten, sich abheben zu wollen. Das Aufwischen zieht sich ein wenig hin. Anschließend reißt die Lasche zum manuellen Öffnen der Waschmaschinentür in deiner Hand ab. Macht nichts, die Maschine ist eh' hinüber. Aber du hättest schon gerne deine Wäsche wieder.

Um 15 Uhr 55 fällt dir ein, dass du nach wie vor nur Krawatten mit Micky-Maus-Motiven besitzt. Du findest, dass Donald Duck passender wäre. Um 16 Uhr 30 habt ihr die Waschmaschine schließlich so weit zerlegt, dass du die Trommel ausbauen und deine Wäsche entnehmen kannst.

Dein Entschluss steht fest. Um 16 Uhr 45 verlässt du das Haus deines Freundes und begibst dich auf direktem Weg zum Fluss. Den erreichst du um 17 Uhr 20. Es dämmert schon. Dementsprechend kalt ist das Wasser. Außerdem ist dir nicht ganz klar, ob die Wäsche bei der Schlammbrühe hinterher überhaupt sauberer sein kann als vorher. Besonders die helle Wäsche. Aber du hast ja genügend Waschpulver dabei. Dennoch denkst du dir, dass man schon ziemlich bescheuert sein muss, um hier seine Wäsche zu waschen. Der gleichen Ansicht ist auch der Polizist, der um 17 Uhr 35 plötzlich neben dir steht. Er möchte gerne, dass du ihn begleitest.

Deinen Telefonanruf nutzt du, um deine Reise für morgen abzusagen. Du befürchtest, dass du eventuell Schwierigkeiten haben könntest, zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Treffpunkt zu sein. Aber du hast gehört, dass es im Knast einen kostenlosen Wäschereidienst geben soll. Na also -- es geht doch!



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